Grundidee
„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)
Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.
Aus dem Geschichtenarchiv
Grossvaters warmes Bett
Ich wache auf und krieche in Grossvaters Bett. Es ist noch früh, dösend liegt er neben mir. Ich geniesse die Wärme des alten weichen Mannes. Leise erzähle ich ihm die Gedanken der frühen Morgenstunden. Geduldig hört er zu.
- Enkelin: 1966, Sozialpädagogin
- Grossvater: 1903, Landwirt
- Jahr der Szene: 1973
Sieben Jahre in Südafrika
Als zweites grosses und über zwei Jahre angespartes Reiseziel wollte ich den Spuren meines Vaters folgen, der sieben Jahre in Eshowe (Südafrika) lebte, einer kleinen Stadt in der Region von KwaZulu-Natal. Obwohl ich nie viel Bezug zu seiner Zeit dort hatte, wollte ich unbedingt an diesen Ort reisen. Es war ein sonderbares Gefühl, Fotos von Orten und Plätzen zu schiessen, die mein Vater seit über 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Unvergesslich bleibt das Treffen mit einer Person, die ihn noch von der damaligen Zeit kannte.
- Jahr der Szene: 1999
- Sohn: 1978, Lehrer
- Vater: 1935, Theologe
Auf der Ladebrücke
Gemeinsam mit den zwei Brüdern durfte ich meinen Vater oft auf Reisen zur Kundschaft begleiten. Wir Kinder sassen jeweils auf der Ladebrücke des Kleinlastwagens. Noch heute spüre ich beinahe das Glücksgefühl und das Vorbeisausen des Windes. Ein jähes Ende nahmen diese Ausflüge, als eine Polizeipatrouille meinen Vater stoppte. Fortan durften wir nie wieder hinten auf der Ladebrücke sitzen.
- Tochter: 1949, Sozialwissenschafterin
- Vater: 1912, Mechaniker
- Jahr der Szene: 1955
Aktuelles
Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen
Liebe Leser:innen
Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.
Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.
Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.
Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.
Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.
Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.
Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.
Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!
Herzliche Grüße
Marcel Kräutli
Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten
Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung, herzlich willkommen!
Vätergeschichten aus aller Welt
Donnerstagabend in einem St.Galler Hinterhof. «My father is my foundation. His values, his culture and his way of life have shaped me», beginnt die Erinnerung an einen indischen Vater, die anlässlich der musikalischen Lesung «Vätergeschichten aus aller Welt» verlesen wird. Auf Wunsch des Erzählers wird die Hommage an seinen Vater gefilmt und nach Delhi gesandt. Als Dank und Würdigung seiner Unterstützung und Verlässlichkeit.
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