Grundidee
„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)
Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.
Aus dem Geschichtenarchiv
Aufklärung ganz einfach
Ich und meine Frau standen am Samstag in der Küche und bereiteten das Mittagessen vor. Da kam meine Tochter mit einer sehr ungewöhnlichen Frage angestürmt. Dass sie ihre achtjährige Schwester geschickt hatte, merkten wir erst, als wir sie im Nebenzimmer kichern hörten. „Stimmt es, dass Chindli gemacht werden, wenn der Papi das Pfiffäli beim Mami hineinsteckt?“ Wie aus einer andern Welt kam diese Frage bei uns an. Ja, antworteten wir nach einiger Zeit zurückhaltend. „Und Ihr habt es auch so gemacht?“ Ähm – ja, stotterten wir. Dann drehte sie sich um, scheinbar zufrieden. Plötzlich wendete sie sich nochmals und fragte noch: „Und, war es schön Papi?“ Erst jetzt brach das Eis. Wir mussten schallend lachen.
- Vater: 1962, Hauswart
- Tochter: 1988
- Jahr der Szene: 1991
Ich habe auf der Baustelle gefehlt
Mein Vater renoviert gerne in den Ferien an unserem Haus. Wir besitzen eine gut eingerichtete Werkstatt. In diesen Sommerferien bauen wir einen neuen Balkon. In der ersten Woche helfe ich täglich dem Vater auf der Baustelle. In der zweiten Woche verreise ich ins Jungwachtlager. Eigentlich wäre ich lieber bei Vater geblieben. Wie sollte er das schaffen ohne mich? Ende zweite Woche war Besuchstag im Lager. Meine Eltern kamen auch. Mein Vater sagte mit einem Leuchten in den Augen: Du hast auf der Baustelle gefehlt.
- Sohn: 1990, Lastwagenmechaniker
- Vater: 1964, Dachdecker
- Jahr der Szene: 2004
Socken-Lockerer
Frisch gewaschene Socken haben die schlechte Angewohnheit, sich während dem Trocknen am Wäscheständer zu versteifen – ganz zum Missfallen meiner jüngeren Tochter (8). Was dazu führte, dass mich M. jeden Morgen darum bittet, mit meinen etwas grösseren Händen durch ihre Socken zu fahren und sie dadurch aufzuweichen. So kam es, dass ich zu ihrem ganz persönlichen Socken-Lockerer wurde. Was mir eine ganz besondere Ehre ist.
- Vater: 1965, Geschichtenfänger
- Tochter: 2009, Wirbelwind
- Jahr der Szene: 2017
Aktuelles
Nächste Lesung Vätergeschichten: Freitag 12. September 2025 im Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel
Vor einiger Zeit durfte ich im tisg-Integrationszentum Wier in Ebnat-Kappel bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden berührende Vätergeschichten sammeln.
Diese Geschichten darf ich am 12. September 2025 von 19 bis 20 Uhr, anlässlich einer öffentlichen Lesung mit musikalischer Begleitung, im tisg Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel vortragen.
Sie sind alle zur Lesung und zum anschliessenden Apéro herzlich eingeladen!
Beste Grüsse & alles Liebe
Marcel Kräutli
Vätergeschichten-Lesung im Integrationszentrum Wier
Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen
Liebe Leser:innen
Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.
Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.
Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.
Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.
Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.
Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.
Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.
Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!
Herzliche Grüße
Marcel Kräutli
Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten
Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung, herzlich willkommen!
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