Grundidee
„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)
Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.
Aus dem Geschichtenarchiv
Stunden im Alphüttli
Ich mache es wie mein Vater. Während der Woche habe ich pro Tag nur 1-2 Stunden Zeit für meine Kinder. Am Wochenende bin ich aber 150% für sie da. Wir verbringen das Wochenende gerne in unserem Alphüttli. Nicht selten erwachen wir am morgen zu viert in unserem Ehebett. Am liebsten gehe ich mit meinem Sohn in den Klettergarten. Er zittert im „Gstältli“ an der Wand, ich halte ihn fest am Seil -– und weiss, dass er sich auf mich verlassen kann. Als ich 20 war, wurde mein Vater zu meinem besten Freund. Ich wünsche mir das gleiche in der Beziehung zu meinem Sohn.
- Sohn: 2006
- Vater: 1974, Verkaufsleiter
- Jahr der Szene: 2012
Weihnachts-Beleuchtung
Mein Vater arbeitete als Verkäufer für die damals traditionsreiche Arboner Lastwagenfirma. Er war viel mit dem Auto unterwegs zu seinen Kunden, vom Rheinfall bis ins Unterengadin. So kam es oft vor, dass mein Vater spät nach Hause kam und wieder sehr früh zur Arbeit musste. Meine sechs Geschwister und ich sahen deshalb unseren Vater unter der Woche nur selten. Wenn er es in der Adventszeit schaffte, etwas früher nach Hause zu kommen, belagerte ich ihn, bis er – gegen den Willen meiner Mutter – zusammen mit mir in die Stadt fuhr, um die Weihnachts-Beleuchtung zu bestaunen. Wir schlenderten durch die Gassen und erzählten einander von den Ereignissen des Tages.
Vater: 1924, Lastwagenverkäufer
Sohn: 1965, Dozent
Jahr der Szene: 1973
Giuseppes Morgenritual
Grade eben habe ich meinen Vater auf den Zug gebracht. Er beginnt jetzt wieder ein bisschen das Leben zu geniessen – jetzt, drei Jahre nach dem Tod meiner Mutter, seiner Giuseppa. Er war es, der für mich eine Art Morgenritual pflegte, das unauslöschlich in meiner Erinnerung eingeprägt ist. Wenn ich aufwachte, roch es bereits köstlich nach Kaffee, den stets er zubereitete. Er fütterte unsere Katze, die in laufender Folge immer Susi hiess, und auch er war es, der zu den Kanarienvögeln schaute, bevor er aus dem Haus ging.
- Sohn: 1980
- Vater: 1940
- Jahre der Szene: 1990 bis 2005
Aktuelles
Nächste Lesung Vätergeschichten: Freitag 12. September 2025 im Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel
Vor einiger Zeit durfte ich im tisg-Integrationszentum Wier in Ebnat-Kappel bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden berührende Vätergeschichten sammeln.
Diese Geschichten darf ich am 12. September 2025 von 19 bis 20 Uhr, anlässlich einer öffentlichen Lesung mit musikalischer Begleitung, im tisg Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel vortragen.
Sie sind alle zur Lesung und zum anschliessenden Apéro herzlich eingeladen!
Beste Grüsse & alles Liebe
Marcel Kräutli
Vätergeschichten-Lesung im Integrationszentrum Wier
Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen
Liebe Leser:innen
Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.
Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.
Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.
Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.
Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.
Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.
Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.
Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!
Herzliche Grüße
Marcel Kräutli
Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten
Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung, herzlich willkommen!
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